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Wir wollten mehr Gerechtigkeit

Mittwoch, 26.01.2022 | Aktuelles

 

Wie Rudolf Luz gegen sein Berufsverbot kämpfte

Im Januar 1972 beschlossen Bund und Länder den "Radikalenerlass". Es war der Beginn einer jahrzehntelangen systematischen Überprüfung von angehenden Beamtinnen und Beamten. Einer der Betroffenen war Rudolf Luz, ehemaliger Bereichsleiter des FB Betriebspolitik. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen.

Du wolltest als junger Mann in Baden-Württemberg Lehrer werden, durftest aber nicht - weil das Schulamt Dich als "Verfassungsfeind" ansah. Wie hat sich das angefühlt?

Rudolf Luz:
Existenzbedrohend. Als Lehramtsstudent gab es nur einen Weg in den Beruf. Und der war plötzlich versperrt. Das war 1982. Ich war 26 Jahre alt und gerade zum ersten Mal Vater geworden. Ich hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Sozialhilfe, dafür BAföG-Schulden. Das war eine sehr schwierige Phase. Ich habe dann ein Jahr auf dem Bau gearbeitet, bis mir ein Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung bewilligt wurde.  

Was wurde Dir konkret vorgeworfen?

Aktivitäten für die DKP (Deutsche Kommunistische Partei) und den Marxistischen Studentenbund Spartakus. Dafür reichte schlicht die Mitgliedschaft. Es gab keinerlei Vorwürfe über irgendwelche Gesetzesbrüche oder nachweislich verfassungsfeindliches Verhalten. Auch die folgende Anhörung war für die Behörden eine reine Formalie, so habe ich das wahrgenommen. Als Einzelperson haben die mich nicht beurteilt. Ich weiß noch genau: Der Beamte, der meinen Fall bearbeitet hat, schien mit seiner Rolle auch nicht glücklich zu sein.

Konntest Du die Bedenken der Behörde nachvollziehen?

Nein. Weil ich eine zutiefst demokratische Haltung hatte. Ich war zwar in der DKP, bin aber immer für die Grundsätze der Demokratie eingetreten: Freiheit, Toleranz, Mehrheitsprinzip. Diese Grundwerte habe ich vertreten und kritisch gefragt: Werden diese Werte in der Bundesrepublik tatsächlich umgesetzt? Wir wollten mehr Gerechtigkeit, demonstrierten für Abrüstung. Wir wollten mehr Demokratie auch in der Wirtschaft. Wir forderten die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. Das ist mit dem Grundgesetz durchaus vereinbar. 

Ein weiteres großes Thema war die mangelhafte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Da ist bis in die 1980er viel zu wenig passiert. Wendepunkt war erst die Rede des damaligen Bundespräsidenten Weizsäcker 1985, in der er das Kriegsende als Befreiung bezeichnet hat, statt als Niederlage.

Gibt es auch etwas, das Du im Rückblick kritisch siehst?

Wir haben uns zu wenig vom real existierenden Sozialismus distanziert. Dort fehlte es an Freiheit und Toleranz. Ich bin damals zweimal in die DDR gefahren und sehr ernüchtert zurückgekommen. Später habe ich die Konsequenzen gezogen und die DKP verlassen.

Wie ist das Verfahren um Deine Einstellung ausgegangen?

Das Verfahren ruhte mehrere Jahre lang, weil das Gericht auf ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts gewartet hat. 1987 habe ich den Prozess gewonnen und konnte mein Referendariat absolvieren. Danach hätte ich in den Schuldienst eintreten können. Stattdessen habe ich 1989 bei der IG Metall Albstadt als Politischer Sekretär angefangen. Und das habe ich nie bereut.

Der „Radikalenerlass“ hat vor allem angehende Lehrer getroffen. Warum haben so viele Metallerinnen und Metaller dagegen protestiert?

Aus Solidarität. Die war stark unter den DGB-Gewerkschaften. Meine Gewerkschaft hatte mir auch Rechtsschutz gewährt. Bei ganz wenigen Gewerkschaftern vor Ort gab es zwar auch Vorbehalte. Aber die konnte ich im persönlichen Kontakt immer ausräumen.

Welchen Schaden hat der "Radikalenerlass" aus Deiner Sicht angerichtet?

Der Hauptschaden war eine wesentliche Einschränkung der politischen Debatten. Der Radikalenerlass wirkte diskriminierend und hat gesellschaftliche Kritik aus dem linken Spektrum beschnitten. Das hat den Diskussionen der 1980er Jahre nicht gutgetan. Damals hat die lange neoliberale Phase begonnen. Anfang der 80er gab es noch eine kritische Grundhaltung. Zehn Jahre später habe ich das nicht mehr vorgefunden. Dazu kommt die persönliche Ebene: Einige Betroffene haben beruflich keinen Fuß auf den Boden bekommen. Sie fühlten sich ausgegrenzt und unter Beobachtung. 

In Bayern müssen Anwärter für den öffentlichen Dienst bis heute einen Fragebogen ausfüllen und Mitgliedschaften in "extremistischen" Organisationen angeben. Darunter auch der Studierendenverband der Linkspartei. Was hältst Du davon?

Leute so zu kategorisieren ist Unsinn. Das ist der Versuch, Gesinnung zu ergründen oder zu beeinflussen. Entscheidend ist doch eine persönliche Beurteilung. Man muss den ganzen Menschen anschauen und nicht einfach in eine Schublade stecken.

Die IG Metall fordert eine offizielle Entschuldigung des Staates bei den Betroffenen. Meinst Du, die kommt noch?

Da bin ich sehr skeptisch. Eine Entschuldigung müsste aus Überzeugung kommen. Es wäre gut, wenn die Politik sich zum 50. Jahrestag des Radikalenerlasses zu ihrem Fehler bekennt – zum Beispiel durch den Bundespräsidenten. Für die Betroffenen wäre das ein wichtiges Signal.

Das Interview führte Simon Che Berberich

 

 

 

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